„Durchlauferhitzer“ oder: Vom Umgang mit unseren Senioren 23. Dezember 2012

Es ist heutzutage eine Binsenweisheit, dass unsere Gesellschaft im Schnitt immer älter wird. Das war alles vorauszusehen, das ist bekannt, wir konnten uns darauf einrichten. Es war hinreichend Zeit, sich auf eine alternde, zu betreuende und zu pflegende Gesellschaft in zunehmender Vereinsamung – adieu, Modell „Großfamilie“ – einzustellen.
Dennoch stehen, wenn der Bedarf konkret wird, alle da wie zwei Tage vor Weihnachten und betonen ganz unschuldig, das hätte man ja nun wirklich nicht ahnen können.

Oh Überraschung, nun sind sie also da, die alten Menschen, die Pflege und Betreuung brauchen. Wir brauchen Pflegeheime, Personal und – Geld. Ja, das liebe Geld. Aber selbst das ist, wenn man nur will, ein lösbares Problem. Weniger lösbar hingegen ist das (legitime) Gewinnstreben kommerzieller Anbieter von „Residenzen“ für Senioren.

 

Seniorenheime und die Gewinnerzielungsabsicht

Es stellt sich die Frage, auf wessen Rücken dieses Gewinnstreben ausgetragen wird. Die Senioren sind in diesem Spiel nur eine Variable – „Nachschub“ ist derzeit hinreichend vorhanden, und auch an Pflegekräften sowie billigen Betreuern im sozialen Dienst herrscht kein Mangel. Eine Win-Win-Situation?

Um die laufenden Kosten so gering wie möglich zu halten, muss man nur für eine möglichst hohe Personalfluktuation sorgen. Pflegekräfte sollten nach Möglichkeit die Probezeit nicht überstehen, ein Team muss sich innerhalb eines halben Jahres mehrfach neu zusammensetzen. Die Vorteile liegen klar auf der Hand:

Der gesetzliche Kündigungsschutz greift bei Beschäftigungsverhältnissen unter sechs Monaten kaum bis gar nicht.

Bei einem so hohen Personaldurchsatz kommt kein gut aufeinander eingespieltes Team zustande, das eine Stärke entwickeln kann, die der Leitung gefährlich werden könnte.

Innerhalb der Probezeit werden die Mitarbeiter verbesserungswürdige Zustände nicht offen ansprechen, weil sie Angst haben, ihre Chance auf eine Weiterbeschäftigung über das Ende der Probezeit hinaus zu verspielen.

Die Kosten bleiben angenehm niedrig, schließlich sind es ja neue Beschäftigungsverhältnisse. Langjährige Angestellte sind teuer und leisten nicht zwingend mehr. Erfahrene Mitarbeiter sind nicht unbedingt notwendig.

Alles in allem mag das zwar reichlich unsozial wirken, aber es ist a) ökonomisch und b) furchtbar real. Für die Beschäftigten in dem Sektor ist das zwar nicht gerade motivierend, aber danach hat ja auch keiner gefragt.

Kurz und knapp: Die Pflege- und Betreuungskraft ist ein schnell durchlaufendes und ersetzbares Element im großen Durchlauferhitzer „Sozialstation“ (oder vergleichbar). Eine Horrorvorstellung, die uns in der Realität schon längst eingeholt zu haben scheint.

 

Gewinner und Verlierer

Was mich daran viel mehr erschreckt: Die zu pflegenden und zu betreuenden Senioren bleiben bei dieser Strategie komplett auf der Strecke. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass für ältere Menschen ein Vertrauensverhältnis und eine gewisse Bindung zu den Menschen, denen sie ihren Lebensabend anvertrauen, nicht minder wichtig ist als das nackte Überleben und die Abwicklung der Basisarbeit zur Aufrechterhaltung körperlicher Grundfunktionen.

Wie kann ich denn in meinem letzten Lebensabschnitt noch so etwas wie Menschenwürde entfalten, wenn ich wie ein Werkstück in einer Produktionslinie von verschiedenen, stetig wechselnden Mitarbeitern und Leiharbeitern abgearbeitet werde?

Genau an dem Punkt findet das Gewinnstreben und ein auf Umsatzrendite getrimmtes Controlling seine Grenzen, denn die, um die es hier wirklich geht – die alten Menschen – werden dabei nicht berücksichtigt. Sie haben Geld in die Kasse zu bringen, quasi als Mittel zum Zweck. Und hier rebelliert mein Gerechtigkeitssinn.
Im sozialen Bereich können mitunter Kosten entstehen, die keine Gewinne im Sinne des  return on investment nach sich ziehen. Manche positiven Aspekte wie z.B. glückliche und gesunde Heimbewohner lassen sich einfach nicht als Aktiva in einer Bilanz ausweisen. Dennoch sind sie da und sie sind sogar wichtig.

Ohne einen gut geschulten, hoch motivierten und auch von der Leitung eines solchen Hauses unterstützten Personalstamm, der keineswegs zu dünn sein sollte, ist das kaum zu leisten. Wo Menschen mit und für Menschen arbeiten, darf – so banal das klingt – der Faktor „Mensch“ nicht zu kurz kommen. Doch genau dort scheint es zu mangeln.

 

Personalpolitik als Spar-Strategie: Job-Hopping

Zu meiner Überraschung finden sich im Netz vergleichsweise wenig Hinweise und Fundstellen auf hire-and-fire-Kräfte in der Altenpflege vor Ablauf der Probezeit. Und doch bin ich fest davon überzeugt, dass dieses Vorgehen gang und gäbe ist. Wie aber passt das zusammen? Schweigen aus Angst?
Ja, ich fürchte, das ist ein Thema, über das man nicht redet. Wer den Mund aufmacht, kommt in der Branche nicht mehr unter und wird von dem Überangebot an billigen Arbeitskräften leicht ersetzt. Bestätigungen und Widersprüche zu dieser These bitte per Mail an mich.

Leider fehlen mir ausreichend Belege, hier einigen Betreibern ein systematisches Vorgehen nachzuweisen. Als Kaufmann kann ich mich sehr gut in die Betreiber und ihre Führungsriege hineindenken. Als Mensch, der auch älter wird, verurteile ich das.

Mir bleiben zum Schluss meiner deprimierenden Bestandsaufnahme nur zwei Wünsche:

  1. Wer diese Personalpolitik verantwortet, möge später selber einmal als Pflegefall die Konsequenzen daraus zu spüren bekommen (wenngleich es schöner wäre, wenn sich die Zustände in der Altenpflege und -betreuung nachhaltig verbessern würden).
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  2. Ich möchte im Alter nicht ein Pflege- und Betreuungsfall werden. Als Alternative bleibt da nur ein schneller und möglichst schmerzfreier Tod. Vor einem überlebten Schlaganfall mit Einschränkungen der Lebensqualität – oder einem vergleichbaren Szenario – bekomme ich zunehmend Angst.

War die Generation unserer Eltern und Großeltern wirklich so schlecht zu uns, dass sie diese Behandlung durch uns verdient hat? Ist es wirklich nötig, die Menschen, die für wenig Geld eine bewundernswerte Arbeit in der Altenpflege leisten, auch noch wie Dreck zu behandeln?

Gut honorierte Mitarbeiter, die auch von ihren Führungskräften in Heimen Anerkennung finden, werden hervorragende Arbeit leisten. Dummerweise kann man das, was als Ergebnis dieser Arbeit von den Heimbewohnern zurück kommt, in keiner Gewinn- und Verlustrechnung ausweisen – und fällt damit als „nicht relevant“ unter den Tisch. Wie unglaublich ignorant ist das denn?

Wir alle werden älter – und jeder verdient in jeder Lebensphase Respekt. Auch die, die ihn derzeit noch nicht geben können.
Hohe Gewinne und die Anhäufung von Geld sind eben doch nicht immer alles.

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