Es gibt nichts, was es nicht gibt – möchte man meinen.
Zumindest das Web 2.0 macht vieles möglich, auf das man früher™ als rational denkender Mensch nicht im Ansatz gekommen wäre.
„Nun gut“, denkt sich der Chronist, „man muss ja nicht jeden Unsinn mitmachen.“
Wohl wahr – allein, man kann sich ihm aber nur schwer entziehen. Darüber hinaus gibt es einige Konventionen, die für jedermann im Netz gelten (sollten), wie z.B. die Netiquette.
„Ich geh‘ dann mal, bevor man mich feuert“
Wem kommt dieser Satz nicht bekannt vor, beherrscht er doch – mitunter unausgesprochen – die Politik? Manch‘ Politiker kommt seinem Rauswurf angesichts des steigenden öffentlichen Drucks mit einem Rücktritt zuvor. Das darf man ruhigen Gewissens als Tagesgeschäft bezeichnen; das ist durchaus üblich und nicht besonders Aufsehen erregend.
Im Internet ist dieses Verhalten eher selten. In Boards, Foren und Wikis tummeln sich Störenfriede jedweder Art. Der Begriff des Trolls dürfte nicht unbekannt sein.
Manchmal aber ziehen auch durchaus respektable Schreiber durch ein nicht erwünschtes Auftreten den Zorn der Netzgemeinde auf sich. Hier hilft eigentlich nur die Sperre.
Dass ein Forenmitglied dieser Sperre zuvor kommt und sich freiwillig zurückzieht oder gar selber darum bittet, den Account stillzulegen, ist eher selten.
Und wenn es dann doch mal vorkommt, darf man das insgesamt positiv sehen.
War da noch was?
Nicht berichtenswert? Von wegen!
In einem durchaus renommierten Board ist eben genau das passiert. So weit, so gut.
Nun aber, „plötzlich und unerwartet“, wie meist formuliert wird, ist dieser Benutzer verstorben. Sein Tod bringt die vormals um seine Person hitzig geführte Debatte erneut in Schwung. Von wegen, von den Toten würde nur Gutes reden.
Auch ich bin ein Gegner der nachträglichen Glorifizierung Verstorbener, nur weil sie sich nicht mehr wehren können; am Lebenswerk – auch am negativen – lässt sich nun mal nichts mehr ändern.
Es kamen in der Debatte aber Stimmen auf, man möge den Benutzer doch bitte posthum wieder entsperren: Es sei gewissermaßen eine Ehrerbietung und ohnehin sein letzter Wille in Bezug auf das Board gewesen. Die Kennzeichnung „gesperrter Benutzer“ unter seinem Namen habe ihn zu Lebzeiten stets gestört, wenngleich er doch selber darum gebeten hatte bzw. dem mehrheitlichen Druck nachgab.
Für mich bis dahin eine Lachnummer und Skurrilität ohnegleichen – aber als der bis dahin von mir als seriös geachtete Board-Betreiber dieser Bitte nachkam und dafür allgemein Anerkennung erhielt, da hatte ich ein echtes Verständnisproblem. Geht’s noch?
Mein virtuelles Testament im Internet
Ach so geht das also… Liebe Boardbetreiber, Wiki-Pfleger und sonstige Macher im Netz: Bitte entsperrt mich und meine unzähligen Accounts, die sich im Netz im Laufe der Zeit so angesammelt haben – nachdem ich gestorben bin. Vielleicht reicht der virtuelle Tod (Fake by twitter?) ja schon aus. Bei der Gelegenheit könnt ihr ja dann auch die „gelöschten“ (unsichtbar verschobenen) Beiträge von mir wieder online stellen und mich überhaupt posthum im besten Lichte erscheinen lassen, das das Web 2.0 nur hergibt.
Bei so viel Unsinn – sorry, anders kann ich das nicht nennen – kann ich nur mein Haupt schütteln und fragen, wie weit wir gekommen sind, dass man als Ehrung anlässlich des Todes einer Person eine disqualifizierende Maßnahme zurücknimmt. Wem bringt das was und wie lautet die Botschaft?
Zum Ableben von Lance Armstrong wird man ihm seine Tour-de-France-Titel wieder anerkennen und Herr von und zurück Guttenberg wird posthum doch wieder Doktor?
Ja, ich übertreibe. Ja, ich bin polemisch. Und ich bin vielleicht sogar intolerant.
Aber wer zu Lebzeiten mal richtig ins Klo gegriffen hat, von dem bleibt auch nach seinem Tod die Erinnerung an den Griff ins Klo, der dadurch ja nicht besser wird.
Man kann posthum keine Ehre herstellen, wo keine ist. Schande endet nicht mit dem Tod. Nachträgliche Ehrungen – ob auf Wunsch im Sinne eines Testamentes im Internet oder auf Betreiben der Fans des Verstorbenen – ohne wirkliche Grundlage sind eine Ohrfeige für diejenigen, die sich für die Aberkennung der Ehre stark gemacht haben.
Der Tod stellt keine Ehre wieder her.
Ist doch alles nicht so schlimm. Oder?
Nun gut, wir reden ja „nur“ über die (Ent-)Sperrung eines Nutzers in einem Internetforum.
Dennoch sehe ich in dem Prinzip eine sehr unschöne Entwicklung: Entweder gehen wir mit dem Wirken der Menschen zu Lebzeiten zu leichtfertig um – oder wir vergessen in den Zeiten des Web 2.0 zu schnell und neigen zur Oberflächlichkeit.
Schnell mal auf „Like“ gedrückt und alles ist gut. Vergeben und vergessen by Mausklick.
Mich stört so viel in den heutigen Zeiten, da kann man in seinem Internet-Testament doch mal ein paar nette Wünsche für die Zukunft der anderen hinterlegen, nicht wahr?
Liebe Boardbetreiber: Richtet in den Profilen eurer Nutzer schon mal ein Testament 2.0 ein, das ist jetzt total angesagt! Wetten?
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