Der ebay-Wahnsinn 4. Dezember 2012

Märkte funktionieren eigentlich ganz einfach: Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. So jedenfalls lautet die Denke in den Köpfen vieler Kaufleute, der meisten Wirtschaftswissenschaftler und einiger Politiker.
Ich ergänze um den Faktor „Dummheit“.
Fanatische Linux-Nutzer werden mir jetzt unkritisch und reflexartig zustimmen, doch es geht ausnahmsweise mal nicht um die Schelte von Windows-Nutzern.

Die Marktmechanismen von ebay und ähnlichen Plattformen werden täglich rätselhafter; dabei möchte ich ebay nur als das prominenteste Beispiel herausstellen. Es finden sich sicher noch andere Ecken, in denen der Marktfaktor „Dummheit“ einen nicht zu unterschätzenden Einfluss hat.

 

Was gebraucht ist, muss günstig sein

Wenn das ja nur mal so stimmen würde. Ohne aber näher darüber nachzudenken, wird gekauft, geboten und ersteigert, was das Zeug hält. Die dabei erzielten Preise lassen den gelernten Einzel-, Versand- sowie Groß- und Außenhändler mitunter fröhlich Bauklötze staunen, ja, sogar neidisch werden.
Dazu zwei Beispiele aus den vergangenen Tagen:

  1. Ein Privatmann verkaufte mehrere Mikrofone wegen Hobbyaufgabe. Sie waren gebraucht, der optische Zustand nicht näher beschrieben und es fehlte jedwedes Zubehör, das einer Neuware hätte beiliegen müssen: Mikrofonklemme und -tasche (auf eine Originalverpackung verzichten wir mal).
    Allein die Nachbeschaffung dieses Materials (ohne Mikrofonklemme? Kaum vorstellbar!) muss zwingend hinzugerechnet werden. Wer mir aber jetzt argumentiert von wegen „die zwoEurofuffzich“, dem ist a) noch nie ein Mikrofon aus einer schlecht haltenden Weichplastikbillighalterung gefallen und b) der hat sich noch nie mit den Mindestbestellwerten der gängigen Versandhändler beschäftigt. Hat ja schließlich nicht jeder ein Musikfachgeschäft um die Ecke – und auch da kostet so ein Teil mehr als zwoEurofuffzich. Basta.
    Der Einstellpreis der Auktion war überraschend hoch gewählt und – viel überraschender – das wurde zu dem überhöhten Mindestpreis tatsächlich gekauft, in einem Fall sogar überboten. Okay, in einem Fall brauchte er zwei Anläufe, aber allein die Tatsache, dass es Menschen gibt, die für weniger (Material) für mehr (Geld) ausgeben und damit den Markt auf den Kopf stellen, ist schlimm. Zur gleichen Zeit nämlich gab es dieses Mikrofon mitsamt vollständigem Zubehör plus Extra (Popschutz!) für weniger.
    Ich bin traurig.
    .
  2. Ein qualitativ sehr bescheidenes Mikrofonset auf Billigst-Niveau kam – gebraucht und komplett – zur Versteigerung. Mit einem niedrigen Preis war zu rechnen, weil man die Neuware mit Garantie überall für ein gängiges Scheinchen bekommt. Für ganz wenig Geld hätte sogar ich es zu mir in meine Mikrofonumgebung gestellt – und sei es nur zu Testzwecken gewesen (zu Mikrofontests später mehr in diesem Blog).
    Wie man sich nur täuschen kann: Die Spinner boten sich bis auf zwei Euro an den Neupreis heran und hoch, und zusammen mit den Versandkosten war die Gebrauchtware sogar teurer als die Neuware mit Garantie vom Fachhändler.
    Ja spinn‘ ich denn?

 

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Da schreibt kein Neid über entgangene Schnäppchen mit. Den einen Mikrofontyp habe ich bereits, da verfolge ich nur den Markt, und das Set muss ich nun wirklich nicht zwingend haben, es sei denn, es schreit als Schnäppchen nach mir.
Aber irgendjemand da draußen hat doch ganz offenbar zu viel Geld und zu wenig Gehirn. Anders kann ich mir das nicht erklären.

 

Jammern auf hohem Niveau

Ja und, Blogger, was willst du eigentlich? Die Welt verbessern oder was?
Nein, das sind halt die Auswüchse eines freien Marktes, das muss man hinnehmen. Zugleich ist es aber auch ein Abbild unserer Gesellschaft und ihrer fehlenden (ich nenne es mal) Nachdenkfähigkeit. Es wird einfach nicht mehr nachgedacht, und das wurmt mich.

Nun könnte ich natürlich mir selber die Mechanismen dieses Marktes zunutze machen – günstig einkaufen, teuer verkaufen. Natürlich nicht gewerblich, sondern „als Privatmann unter Ausschluss jeglicher Gewährleistung“, mit verschiedenen Tarn-Accounts und mit Strohmännern und -frauen als intelligentes Netzwerk.
Bei DEN Preisen sollte da eigentlich, nach Abzug der Kosten (ebay-Provision), ein nettes Nebengeschäft bei rumkommen. Solange es genug Blöde Käufer gibt, die dabei mitspielen, sollte ich das nicht kritisieren, sondern nutzen.
Notiz: Mit diesem Muster meine ich ausdrücklich nicht die beiden vorgenannten Beispiele bzw. deren Verkäufer.

Nein, da spiele ich nicht mit.
Es gibt noch ordentliche, ehrliche und aufrichtige Verkäufer, die nach bestem Wissen und Gewissen die Ware so anbieten, wie es geboten ist und sie korrekt beschreiben. Die sollen auch ihre Umsätze erzielen, wenn man dafür im Gegenzug ordentliches Material von zuverlässigen Anbietern bekommt.

 

Es ist nicht allein ebay

Wer möchte einer Handelsplattform oder dem Verkäufer einen Vorwurf machen, wenn die Käufer so dumm handeln? ebay jedenfalls ist nicht schuld daran, aber es verdient prächtig daran. Einziger Vorwurf: Es nutzt strunzdumme Kunden perfekt aus und passt sein Marketing an diese Klientel an. Zugegeben, da liegen bei mir respektvolle Anerkennung und Brechreiz dicht beieinander.

Amazon (und andere „ich verkaufe alles im Versand“-Händler) nehme ich dabei nicht aus. Ich wäre im Leben nicht auf die Idee gekommen, ein Mikrofon bei Amazon zu kaufen – wobei auch hier zu unterscheiden ist, ob Amazon selber als Verkäufer oder ein Dritthändler (von denen ich teilweise noch nie gehört habe) durch Amazon-Vermittlung („Marketplace“) auftritt.
Tatsächlich kann man da vereinzelt mal ein oder zwei Euro sparen, aber das ist eher selten. Und bei Preisgleichheit ziehe ich den Fachhandel (ebenfalls mit Versand) vor, zumal dort die Auswahl im Fachgebiet und die Vergleichsmöglichkeiten größer sind.

In der Vergangenheit habe ich, Mikrofonkäufe betreffend, mit vielen jüngeren Menschen Gespräche geführt. Neben einigen anderen unsinnigen Argumenten, warum es ausgerechnet dieses eine (nicht unbedingt passende) Mikrofon sein muss, hieß es unter anderem eben, man habe es bei Amazon gesehen.
Was ist das denn bitte für ein hirnrissiges Argument?

 

Mehr Hirn!

Ja, das möchte man laut schreien und hoffen, dass sich doch mal wenigstens etwas ändert… und dann merkt man, dass es ja gar nicht auf die Masse, sondern auf die Nutzung ankommt.
Nein, ich glaube nicht, dass es an Hirn mangelt – wohl aber an der Bereitschaft, es zu nutzen. Ein Trauerspiel.

Spätestens, wenn wir nach Weihnachten hören, welche Rekordumsätze der Handel im Bereich Unterhaltungselektronik gemacht hat (und wie viel davon auf den Versandhandel entfallen), welche Mikrofone neu in welchen Kinderzimmern nicht besser klingen als das Vorgängermodell, ahnen wir, was auf uns zukommt: Die Verkaufswelle falscher Geschenke auf ebay, die zu Geld gemacht werden sollen – und die Käufer, die ihre Geldgeschenke in vermeintliche Schnäppchen umsetzen wollen.

Wetten, dass die Nachdenkfähigkeit dann (wieder mal) ausgesperrt wird?

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