Me too! 18. September 2012

Dieser Ausruf – übersetzt mit „ich auch!“ – kennzeichnet oftmals Kaufwünsche, wenn es um Mikrofone geht. Dabei entsteht oftmals ein Bedarf, der bei normaler Betrachtung gar nicht nötig wäre.
Das Internet trägt hier eine Art Mitschuld, wobei das gar nicht mal so negativ zu sehen ist. Aber die Informationsvielfalt lässt manchmal Wünsche aufkommen, die bei einer Beratung im Geschäft so nicht entstanden wären. Andererseits wäre man dort vielleicht anders … ähm … manipuliert worden.

Es gilt also, die angebotenen Informationen, die dankenswerterweise zur Verfügung stehen, zu filtern und richtig zu bewerten. Nur: Worauf kann man sich da verlassen? Meine Erfahrung: Messwerte sind das eine, persönliche Erfahrungen etwas anderes. Ich könnte nächtelang Datenblätter wälzen und mich so für das eine oder das andere Mikrofon, den Vorverstärker etc. entscheiden – das akustische Ergebnis freilich mag ganz anders aussehen.
Bleibt die Frage: Wenn ich selber nicht teste, immer wieder mal was neues wage, experimentiere, hinterfrage – auf wen sonst kann ich mich dann verlassen?

 

„Der andere hat das auch.“

Schön, na und?
Wenn ich in meinem Aufnahmeraum mit meiner Stimme für mich gute Ergebnisse erziele, heißt das noch lange nicht, dass das bei einem anderen genausogut funktioniert. Daraus eine Mikrofonempfehlung abzuleiten, wäre also grob fahrlässig.

Genau hier aber setzt meine Kritik am Internet an: Es zeigt Situationen, die einen tollen Sound abbilden, die wiederum einen „so will ich das auch haben“-Bedarf generieren. Das setzt für viele beim Mikrofon an, und schon wird viel Geld zum Fenster ‚rausgeworfen.

YouTube-Kanäle sind einer der wichtigsten Faktoren. Die kommentierte Dokumentation von Spielen beispielsweise lässt immer wieder Fragen aufkommen à la „Womit hast du das aufgenommen / welches Mikro verwendest du?“ oder man bekommt einen Blick ins Studio und fragt „was ist das für ein Mikro, welches Mischpult verwendet der?“.

Casting-Shows haben auch für einen ordentlichen Schub gesorgt. Bei kleinen Einspielern mit Bildern aus dem persönlichen Umfeld des angehenden Stars (?) erhascht man vielleicht auch mal einen Blick auf ein USB-Mikrofon im Kinderzimmer (darf man ab sofort ja nicht mehr sagen, nicht wahr?) und will genau das Mikrofon auch. Immerhin hat der ja damit schon Aufnahmen gemacht und der ist gut – also wird man es auch, wenn man das Mikrofon an den eigenen Rechner…

Es ist ja schön, jemandem nachzueifern, aber es gibt noch mindestens (!) drei weitere Faktoren, die die Aufnahme erheblich beeinflussen können, und da kann das Mikrofon nun gar nichts für.

In der Steigerungsform nehmen wir einen wirklichen Star, den man anhimmelt, nimmt ein Foto von einem CD-Booklet oder aus einem YouTube-Video (wieder mal) und fragt, welches Mikrofon der da benutzt.
Alternativ greift man zu im Internet kursierenden Bildern aus Rundfunk- oder Aufnahmestudios. Dass dort aber die Künstler in den seltensten Fällen Einfluss auf die Mikrofonierung nehmen, sondern langjährig ausgebildete Tontechnniker und -meister, interessiert gar nicht. Es ist – „me too!“ – das Mikrofon der Stars.

Fairerweise sollte man erwähnen, dass die Mikrofonhersteller gerne selber mit Stars werben, die ihre Produkte benutzen. Diese Sache hat aber zwei Haken:

  1. Es handelt sich in aller Regel um Marketingverträge – nicht anders, als Fußballstars teils individuelle, von ihrem Heimatverein abweichende Verträge abschließen. Der Künstler / die Band nutzt teuerste Mikrofontechnik inkl. Herstellersupport vor Ort zu einem … sehr günstigen Tarif, der Hersteller wiederum wirbt damit.
    .
  2. Meistens findet man bei diesen Werbekampagnen Bilder von Tourneen, die technisch vom Hersteller begleitet werden. Ein Bühnenmikrofon ist aber nun mal kein Studiomikrofon; zumindest die Anforderungen sind sehr unterschiedlich.
    – Dass man ein Bühnenmikrofon auch im Studio einsetzen kann, ist kein Problem; umgekehrt habe ich es bislang eher selten erlebt.

 

Toll: Vorbild demontiert, Illusionen zerstört

Bleibt die Frage: An was kann man sich denn sonst orientieren?
Primär: Am eigenen Gehör. Es gibt nun mal nichts besseres als die eigene Stimme am richtigen Mikrofon an einer sauberen Abhöre.

Na gut, eine gesunde Portion Selbstkritik gehört mit dazu.

 

Pro / Con Alternativen

Testberichte
Kommt drauf an, wer da was testet. Nicht jede Publikation ist wirklich so unabhängig, wie es wünschenswert wäre. Zu alledem sollte man mal genau nachlesen, was da so geschrieben steht und das mal inhaltlich auseinandernehmen. Manche Formulierung ist ebenso lachhaft wie traurig zugleich. Also stelle ich mir die Frage, ob das Testfazit überhaupt zu meiner Situation passt. Höchstens im direkten Vergleich zweier Produkte, da gewinne ich am meisten Informationen.

Kundenrezensionen
Halte ich gar nichts von, obwohl ich selber welche schreibe. Da wird bei Versandhäusern die schnelle Lieferung und die Optik des Produkts beschrieben, aber nichts wirklich relevantes. Schaut man sich auch hier mal die Texte genauer an, fallen schnell erhebliche inhaltliche Mängel auf. Bewertung und Text sind stellenweise widersprüchlich und unsinnig. Egal, ob ein Produkt in den Himmel gelobt wird oder in Grund und Boden geschrieben wird: Wichtig ist nur, dass man aus allen Texten die relevanten Informationen herausliest: Gibt es echte Schwachstellen, hat das mit dem Produkt zu tun oder mit dem Tester (Treiberprobleme, falsche Umgebung etc.)?

Unglücklicherweise gibt es auch einige gekaufte Rezensionen – zwar nicht vom Hersteller, aber einige windige Agenturen lassen Fake-Texte (positiv wie negativ) schreiben. Ich wurde mal Zeuge eines solchen Angebots. Es war abschreckend.

Persönliche Empfehlungen
Könnte ich auch, doch selbst da bin ich zurückhaltend. Schließlich gilt es, die persönliche Situation des Rat suchenden zu berücksichtigen, und was nützt es da, wenn ich mit einem Mikrofon klar komme, der andere jedoch nicht?

Neulich las ich die Frage einer Moderatorin, was sie denn verbessern könne, damit ihre Stimme noch besser vom Mikrofon aufgenommen würde – und dabei hatte sie schon ein gutes, mit dem andere durchaus sensationelle Ergebnisse erzielen würden, nur war sie eben nicht zufrieden. Da bringt die beste persönliche Empfehlung nichts.

Datenblätter / Technische Daten
Nett, aber… ja, es gibt Anhaltspunkte. Klar, dann weiß man schon mal, woran man ist. Nur sagt es mal gerade gar nichts darüber aus, wie gut das Mikrofon wirklich ist.

Als ich diesen Beitrag verfasst habe, hatte ich gerade ein Mikrofon zum Vergleichstest in der Mache. Gar nicht mal soo schlecht – aber garantiert nicht das, was im Datenblatt steht. Da frage ich mich echt, was das eigentlich soll. Vielleicht möchte der Hersteller von mir nicht ernst genommen werden? Aber umgekehrt soll ich seine Produkte ernst nehmen… Tja, das Produkt ist nicht schlecht – also doch lieber auf meine Ohren hören. Adieu, Datenblätter – zumindest, was diesen Hersteller angeht.

Soundbeispiele im Internet
Bei allem gebotenen Respekt – aber das sind optimierte, nachbearbeitete Aufnahmen in einer optimierten Umgebung und jedes Mal eine neue Aufnahme. Das behaupte ich so lange, bis mir mal jemand eine solche Aufnahmesession zeigt, in der mehrere Mikrofone zeitgleich am Start sind.
Eine mögliche Ausnahme könnte das Røde Soundbooth sein – hier habe ich wirklich mal online Mikrofone verglichen. Allerdings ist damit ein markenübergreifender Vergleich nicht möglich.

 

Und nun?

Der einzige Rat, den ich ruhigen Gewissens weitergeben kann: Seid kritisch mit allen Informationen, die euch aus den verschiedensten Quellen so zuströmen. Und glaubt nicht, dass ein Produkt gut sei, weil es ein Künstler benutzt oder ein Vorbild – welches auch immer hat – es ebenfalls benutzt. Ihr kennt alle anderen Parameter der Aufnahme nicht.

Was das „me too!“-Kaufverhalten und zweifelhafte Empfehlungsgrundlagen angeht, bin ich sehr, sehr skeptisch. Mit diesem Eintrag kann ich keine konkrete Empfehlung geben, wohl aber euer gesundes (nicht übersteigertes) Misstrauen schärfen.

Möge es hilfreich sein.

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