Ich brauche ein Mikrofon 29. August 2012

Oh, ich kauf mir was“ (Herbert Grönemeyer, „Kaufen“, 1983)

„Ich brauche ein Mikrofon – ist das [Link auf Modell] gut?“.
Solche Fragen sind heutzutage leider typisch. Nur: Was soll man, wenn man den Fragesteller ernst nimmt, darauf antworten?

Wenn ich ein Auto kaufen möchte, frage ich ja auch nicht meinen Kumpel „was hältst Du von dem Cabrio?“, wenn ein Kombi für meine Anforderungen in Wirklichkeit viel besser geeignet wäre.
Das Problem liegt woanders: Der Mikrofonwahl wird im Hobbybereich derzeit keine besonders hohe Bedeutung beigemessen.

 

Wie kommt es zu solchen Fragestellungen?

Eine gute und vor allem passende Mikrofonierung ist aufwändig und nicht besonders trendy.
Da gibt es ganz andere Gründe:

  1. Ein Mikrofon muss vor allem cool aussehen.
    Am besten so fett wie im Studio, wie bei den Stars.
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  2. Bezeichnungen und Werbeaussagen werden komplett unkritisch für bare Münze genommen, die bei näherer Betrachtung noch nicht mal heiße Luft sind, sondern weniger als ein feuchter Furz.
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  3. Es fehlt am einfachsten Grundwissen sowie der Bereitschaft, sich mal damit zu beschäftigen. Irgendein Idiot im Internet wird’s schon richten.
    Warum habe ausgerechnet ich im Augenblick das Gefühl, dass ich dieser Idiot bin?
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  4. Verschiedene Medien – allen voran YouTube und vergleichbare Portale – zeigen vermeintlich einfache Mikrofonierungen, nicht aber die aufwändige Arbeit vor und nach der Aufnahme. Dem eifern vor allem junge Leute nach.

 

Diese Erkenntnisse habe ich aus meiner aktiven Zeit bei gutefrage.net, über die ich an anderer Stelle bereits berichtet habe.
Die Fragestellungen waren eindeutig: Ich habe da was gesehen und das will ich auch, wie heißt das Mikrofon in dem Video, was kostet so ein Mikrofon von dem Sänger?

 

Welche Vorgehensweise ist richtig?

Zunächst einmal muss man sich darüber im klaren werden, dass es das Universalmikrofon einfach nicht geben kann. Eins für alles, das geht schief.
Jedes Mikrofon hat spezifische Stärken und Schwächen, und die sollte man entsprechend nutzen.

 

Folgende Fragen sollte man für sich erst einmal beantworten:

Was soll überhaupt aufgenommen werden?
Instrumente – und falls ja, welche?
Sprache oder Gesang?

Wie soll das Signal in den Computer gelangen?
Direktanschluss (sog. „USB-Mikrofone“), Audio-Interface („externe Soundkarte“) oder Mischpult, vermutlich mit USB-Anschluss?

Welche Qualität ist gefragt?
Was ist das Ziel der Aufnahme, wie hochwertig muss sie werden?

Wo soll aufgenommen werden?
Wurde die Raumakustik in die Planung mit einbezogen? Was ist mit Umgebungsgeräuschen im Haus selbst und außerhalb des Hauses?

Welches Budget steht zur Verfügung?
Auch an Zusatz- und Folgeinvestitionen gedacht? Stativ, Kabel, Popschutz, Kopfhörer, ggf. Spinne…

Ist schon Material vorhanden, das man in die geplante Investition mit einbeziehen kann?

Hat man sich darüber erst mal ein erstes Bild verschafft und schaut dann noch mal auf die ach so verführerischen Seiten der Versandhändler, ist das Lockvogel-Angebot von eben nach meinem Fragenkatalog plötzlich gar nicht mehr so toll und auf einmal ist die ganze Sache teurer als gedacht.

Nein, ich bin hier nicht der Spielverderber, aber die Verkäufer sind ja nun nicht gerade doof. Die wollen auch nur verkaufen, und wo ein Lockvogel ist, wartet um die Ecke meist eine böse Überraschung.

 

„Jetzt weiß ich immer noch nicht, welches Mikrofon ich brauche.“

Na ja, nicht ganz. Aber man kann schon mal ganz gut abgrenzen, was unsinnig ist.

  1. Ein Gesangsmikrofon ist zur Abnahme von Instrumenten nur bedingt geeignet.
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  2. Ein Mikrofon mit XLR-Anschluss passt standardmäßig erst mal nicht an den typischen PC; das geht von Hause aus schief.
    – Bitte nicht lachen, diese Erkenntnis hat manche wie einen Schlag erst nach dem Kauf getroffen. Schöne Grüße von der plug-and-play-Generation.
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  3. Um „nur“ für YouTube-Videos zu produzieren, brauche ich sicher kein Mikrofon, das an der 1’000-Euro-Grenze kratzt. Umgekehrt sollte es nicht rauschen wie am Meer, wenn ich Sprache sauber aufnehmen will.
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  4. Und wenn meine Umgebung laut ist – auch wenn wir das erst mal nicht so wirklich wahrhaben wollen -, dann ist ein empfindliches Mikrofon eine denkbar schlechte Entscheidung. Ich war selber überrascht, was ich unter Kopfhörern so alles von meiner Umgebung gehört habe…

 

Allein mit diesem Bewusstsein kann ich mich gegen allgemein gültige Empfehlungen wehren. Denn was bei dem einen Mikrofonbenutzer hervorragend funktioniert, kann beim anderen bös‘ daneben gehen.

Nochmals: Der Einsatzzweck und die Rahmenbedingungen entscheiden; nicht das, was andere für gut unter ihren Bedingungen halten. Ich nehme bei mir unter meinen Bedingungen auf, und nur das zählt.

 

Das Pawlowsche Mikrofon

Halt, nicht gleich googlen – das gibt es nicht.
Ich provoziere hiermit eher die Mikrofon-Empfehler, die – dem Pawlowschen Hund im gleichnamigen Experiment in nichts nachstehend – wie aus der Pistole geschossen zu einem Mikrofon raten, ohne die im Abschnitt „Vorgehensweise“ erwähnten Parameter auch nur ansatzweise abzufragen.

Ganz gleich ob in persönlichen Gesprächen oder Telefonaten, Chats, Foren, Kundenbewertungen (ha ha!) oder Empfehlungen von „Technikbetreuern“ bei Webradios etc. – irgendwo ist immer einer darunter, der geradezu reflexartig ein Mikrofon oder einen Mikrofontyp empfiehlt, ohne auch nur ansatzweise auf die Bedürfnisse des Rat suchenden Fragestellers einzugehen.
Diese Typen sind weder Geschlecht, Alter, Schulbildung, Rasse, Religion, Sportlichkeit oder sexueller Orientierung zuzuordnen. Sie kommen ausgerechnet dann um die Ecke wie der Springteufel aus der Kiste, wo man sie nicht vermutet hätte. Auch ich bin da menschlich schon herb enttäuscht worden.

Was besonders schlimm daran ist: Sie sind sachlichen Argumenten – und noch viel wichtiger, dem eigenen Gehör – praktisch nicht zugänglich, weil sie dogmatisch an ihrer Reflex-Antwort festhalten (müssen). Da kann ich bloggen wie ich will, aber so ein Typ versaut einem glatt die beste Beratung.
Hiermit sei vor ihnen gewarnt.

 

Und weiter?

Im nächsten Schritt überlegt man sich, welcher Mikrofontyp sich am besten eignet.
Prinzipiell gibt es folgende Unterschiede:

Dynamische oder Kondensatormikrofone

Groß- oder Kleinmembran

„USB-Mikrofon“ oder mit klassischem XLR-Anschluss

[Spezialfall] Eine besondere Richtcharakteristik, sofern es die Aufnahmesituation erfordert.

Achtung, der Pawlowsche Mikrofon-Empfehler würde schon wieder vorschnell schießen und sagen, manche Parameter bedingen einander, so könne es bei einem USB-Mikrofon ja gar kein dynamisches… doch mit diesen Irrtümern und Denkfehlern räume ich vielleicht in einem der nächsten Beiträge auf.

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